wilde perspektiven

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Dienstag, 21. April 2015

Waldwasserläufer

Es ist keine große Kunst, einen schicken Waldwasserläufer zu fotografieren.

Schwierig gestaltet es sich aber, ihn im frischen Prachtkleid auf dem Heimzug im April zu erwischen. Im Gegensatz zum Wegzug tritt diese oft heimliche Limikole dann nämlich in deutlich geringerer Zahl in Nordddeutschland auf und das eher unstet – heute mal hier, morgen dort.

Darüber hinaus ist zu dieser Jahreszeit der Wasserstand der meisten Gewässer zu hoch, sodass es an geeigneten Schlammflächen mangelt und man deshalb nirgends sein Tarnzelt auf Augenhöhe errichten kann. 

Augenhöhe ist aber Pflicht!

Green Sandpiper – all images show the same individual

Am Freitagabend sah ich einen Waldwasserläufer, der sich am so genannten Reiherschloot im Ihlower Forst aufhielt. Auch dort gab es nur wenige Uferabschnitte, die ihm Zugang zum Wasser gewährten. Und eine dieser Schlammbänke war dann auch noch breit genug für mein Tarnzelt und mich.

Kurz entschlossen baute ich es dort auf, um dann am sehr frühen Samstagmorgen meinen Posten zu beziehen.

Dunkel war es noch. Und frisch...


Einige Tage zuvor hatte ich diese Pflanze im Forst fotografiert:

Rubus spectabilis – non-native immigrant from North America

Dabei handelt es sich um die Prachthimbeere, um eine Art, die eigentlich im Westen Nordamerikas vorkommt, von Alaska im Norden bis Nordkalifornien im Süden. Ob man sie bewusst im Ihlower Forst angepflanzt hat oder ob sie aus einem Garten ausgebüchst ist, kann ich nicht sagen.

Jedenfalls bildet diese attraktive Verwandte von Brom- und Himbeere dichte Bestände im Unterholz jener Bereiche des Waldes, die staunass, wenigstens aber sehr feucht sind. Es sind genau die Orte, an denen sich Esche und Erle allabendlich eine gute Nacht wünschen.

Und jetzt stellt euch mal vor, Bäume könnten wirklich sprechen!

Das ginge dann am frühen Morgen in etwa so:

"Guck mal, der Sudendey ist schon wieder da!" zischt die Erle. "Der steht um vier Uhr auf, um sich dann hier im Wald auf eine Schlammbank zu legen."

"Ja", antwortet die Esche, "der hat sie nicht mehr alle beisammen, da stimmt was nicht. Ich meine, die Sonne ist doch noch nicht einmal aufgegangen. Und auf wen wartet der da unten eigentlich?"

"Auf den Waldwasserläufer."

"Ist das nicht dieser kleine Krummschnabel, der immer an meiner Borke entlanghüpft. Und grundsätzlich von unten nach oben? Das kitzelt dann immer so."

"Hoah, bist du hohl, ey", raunt nun die Erle, "der, den du meinst, das ist der Waldbaumläufer. Der Sudendey wartet aber auf den Waldwasserläufer!"

"Is ja schon gut, werd doch nicht gleich so persönlich und aggressiv! Ich hab dir doch nichts getan. Mach mal ein Antiaggressionstraining!"

"Ich? Aggressiv? Sei froh, dass ich hier fest verwurzelt bin! Sonst würd ich dir jetzt aber mal ein paar an die Krone hauen, du Arschloch. Aber so richtig. Aggressiv. Ich..."


Ich lag auf meiner Isomatte und schüttelte den Kopf. Bäume sind wie Menschen, dachte ich. Immer nur Ärger. Und das nur wegen irgendwelcher Lappalien. Ist es nicht schön, dass sie nicht aufeinander losgehen können?


Da kam wie zur Ablenkung endlich der Waldwasserläufer um die Ecke gedüst und landete direkt vor meinem Tarnzelt:


Ja, er ist so ein hübscher Vogel!

Der Waldwasserläufer ist seit vierzig Jahren einfach meine Lieblingslimikole. Ich mag ihn, weil er so eine schöne Stimme hat, weil er sich gerne versteckt und an kleinsten Gewässern mitten im Wald nach Nahrung sucht. Weil er so geheimnisvoll ist und  und sein Gefieder immer so adrett wirkt, so kontrastreich, schwarz und weiß, okay, eigentlich eher dunkelbraun oder graubraun und weiß und so weiter.


Der Waldwasserläufer brütet nicht in Ostfriesland, ist hier ausschließlich Durchzügler. Und wenn man ihn auch in allen zwölf Monaten des Jahres antreffen kann, so erfolgt der Heimzug hier in Norddeutschland vor allem im April:





Im Mai, vor allem in der zweiten Hälfte des Monats, sieht man bei uns keine Waldwasserläufer, weil sie sich dann in den Brutgebieten befinden, in Schweden vor allem, aber auch in Finnland, doch schon Anfang Juni kehren die ersten Individuen wieder zu uns zurück.

Man kann wirklich die Uhr nach ihnen stellen, und ich selbst begegne den ersten Wegzüglern alljährlich zwischen dem 1. und dem 3. Juni.


So ganz nebenbei: Wenn die Färbung des Vogel variiert, dann ist das nur eine Folge unterschiedlicher Lichtverhältnisse.


Es ist Frühling im Ihlower Forst!

Endlich, möchte man ausrufen, weil es doch so lange so verfickt kalt gewesen ist in den letzten Wochen.

Jetzt aber kann man im Wald Schmetterlinge wie den Aurorafalter durch die Gegend flattern sehen und auch Tagpfauenaugen, Zitronenfalter, C-Falter sowie das kleine Landkärtchen. Und von keinem dieser fliegenden Farbtupfer habe ich jetzt ein Bild.

Dafür aber von den frisch austreibenden Bäumen.

Vom Bergahorn zum Beispiel:

Sycamore Maple

Von der Rosskastanie:


































Horse-Chestnut

Eberesche:


































Rowan Ash

Und Felsenbirne, die auch sofort nach dem Austreiben zu blühen beginnt:
 
















Amelanchier

Und bevor all diese hoch gewachsenen Pflanzen den Waldboden für eine sehr lange Zeit beschatten, müssen andere noch ganz schnell ihre  "Ernte einfahren".

Buschwindröschen, Scharbockskraut und auch der Sauerklee blühen deshalb so früh im Jahr, weil sie später nicht mehr genung Licht bekämen. Licht aber ist für fast alle Pflanzen etwas Lebenswichtiges. Entsprechend haben sie an ihrem exklusiven Standort am Waldboden im Grunde keine andere Wahl.

Hier der Waldsauerklee:


Wood Sorrel 

Buschwindröschen:

Wood Anemone

Und dieses Buschwindröschen wollte unbedingt ein Leberblümchen sein:


Zurück zum Waldwasserläufer, den ich noch nie in meinem Leben so ansprechend fotografieren konnte wie in den vergangenen Tagen!

Die Art ist scheu und nervös und fliegt oft schon auf große Distanz davon. Und auch vorm Tarnzelt ist der Waldwasserläufer eher ein schwieriger Kandidat. Vor allem Altvögel wie der hier vorgestellte sind oft sehr schreckhaft und vorsichtig.

Die kleinste Bewegung des Fotografen, das leiseste Geräusch kann ihn für immer in die Flucht treiben. Nur mit pochendem Herzen drückt man in einer solchen Situation erstmals auf den Auslöser. Dieses erste Klicken der Kamera entscheidet letztendlich darüber, ob man anschließend auch noch weitere Bilder machen kann oder eben nicht.

Doch dieser Vogel musste zuvor Baldrian eingenommen haben. Und zwar eine Überdosis, denn er ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen.




Irgendwann stellte er sich ins Wasser, um zu trinken:



Auch Vögel spielen.

Hier war es etwas Pflanzliches, das den Waldwasserläufer eine ganze Weile beschäftigte.

Kann man das essen (aus der Rubrik Waldwasserläufer-Gedanken):

Und wieder Ruhe:

Nach einer Vierteldrehung:

Die Mittelspechte im Ihlower Forst haben inzwischen ihre Neubauten errichtet.

Eine dieser Höhlen befindet sich in einer toten Schwarzerle und unmittelbar am Ufer des Reiherschlootes.

Wenn man das Trommeln diverser Spechtarten auch meilenweit hören kann, so fällt das Aushöhlen eines Baumes akustisch kaum auf. Eigentlich hört man es nur, wenn man sich selbst gerade nicht bewegt und gleichzeitig in unmittelbarer Nähe zur Baustelle befindet. Und tatsächlich legen alle Vögel beim Nestbau größten Wert auf Diskretion.

Feinde lauern überall. Und man muss ihnen ja nicht mit dem Zaunpfahl einladend zuwinken.

Hier eine nigelnagelneue Mittelspecht-Bruthöhle im Ihlower Forst:

brandnew Middle Spotted Woodpecker's home

Das Weibchen wird wohl bald mit dem Legen beginnen. Weil sich diese Höhle direkt neben einem Wanderweg befindet und die Spechte nicht scheu sind, wird man dort später auch die Jungvögel sehr gut beobachten können.

Ich freue mich darauf!

Und auch andere Vögel nisten ausschließlich in Baumhöhlen, die sie aber im Gegensatz zu den Spechten nicht selbst zimmern können.

Hier kontrolliert ein männlicher Trauerschnäpper, der gerade erst aus Afrika nach Ihlow zurückgekehrt ist, einen Nistkasten:


Pied Flycatcher, just returned from Africa, is checking the nest box: is there anybody in there?

Nestfotografie ist eigentlich ein No-Go, doch man muss da differenzieren.

Wenn ich junge Rauchschwalben in ihrem Nest über dem Eingang eines LIDL-Marktes fotografiere, dann macht das den Vögeln nichts aus. Es ist ihnen egal, ob da unter ihnen zwei Omis dem neuesten  Tratsch ihrer Straße einige pikante und vor allem frei erfundene Details hinzufügen oder ob ich dort mit einer Kamera in der Hand auf den Altvogel warte, der schließlich auch kommt.

Dieser Trauerschnäpper hat sich für einen Nistkasten entschieden, der sich wie die obige Mittelspecht-Höhle unmittelbar neben einem stark frequentierten Weg befindet. Überhaupt entdeckte ich den Vogel nur deshalb, weil er bereits singend vor dem Einflugloch stand und mir nicht einmal auch nur einen einzigen müden Blick schenkte.

Unerhört!

Aber okay.

my hide

Als Waldwasserläufer muss man auch immer darauf achten, dass das Gefieder in Ordnung ist:

Man tunkt den Schnabel kurz ins Wasser und richtet und säubert dann jede einzelne Feder.

Die großen und auch die kleinen:

Gefiederpartien, die man nicht mit dem langen Schabel pflegen kann, bearbeitet man dann halt mit dem Fuß.

Und wieder trinken:



Boah, ist das nass.

Und sooo kalt:






Apropos Nestfotografie: Beim Waldwasserläufer würde ich sofort meine gute Erziehung vergessen und eine Ausnahme machen. Also ich würde ihn tatsächlich gerne mal am Nest knipsen. Natürlich unter Einhaltung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen.

Er brütet nämlich nicht am Boden wie all seine Verwandten, sondern in verlassenen Drosselnestern!

Und diese können sich auch in mehreren Metern Höhe befinden. Ich habe mir das in der Vergangenheit immer wieder vorgestellt, eine Limikole turnt im Baum herum und sitzt im Nest einer Amsel oder Wacholderdrossel. Vielleicht ist auch dieses so einzigartige Verhalten, das sonst nur noch der nahe verwandte Einsame Wasserläufer Nordamerikas zeigt, ein Grund dafür, dass ich diesen Vogel so faszinierend finde.

Weil sie von ihren Eltern nur geführt, nicht aber mit Futter versorgt werden, bedeutet das für die Jungen, dass sie nach dem Schlupf in die Tiefe springen müssen. Ähnlich ist das ja auch bei Austernfischern, die nicht nur hier in Emden auf Haus- und Hallendächern brüten, wobei die aber immerhin zu Beginn von ihren Eltern mit Regenwürmern gefüttert werden – übrigens eine Ausnahme unter den Limikolen. Oder bei Entenarten, die in Spechthöhlen nisten, wie Schellente und Zwergsäger. Auch ihr Nachwuchs verlässt nur wenige Minuten nach dem Schlüpfen die sichere Höhle und stürzt sich in die Tiefe, um gemeinsam mit der Mama das nächste Gewässer aufzusuchen.

Passieren kann ihnen beim Hinabfallen aber aufgrund ihres geringen Gewichts nichts, da braucht man sich keine Sorgen zu machen.


In Niedersachsen brütet der Waldwasserläufer übrigens nur im Osten und hier vor allem in Gebieten nördlich der Aller. Geschätzt wird der landesweite Bestand auf etwa 190 Paare, bundesweit geht man von 950 - 1200 Paaren aus, von denen wiederum das Gros in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg brütet (Quelle: Brutvogelatlas Niedersachsen).

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es bei dieser Art Ausbreitungstendenzen geben soll, doch das waldarme Ostfriesland wird sie wohl nie erreichen – als Brutvogel, wohlgemerkt.

Da der Waldwasserläufer aber in der ganzen Republik ein häufiger Durchzügler ist, vor allem in den Monaten Juli und August, kann man das verschmerzen.

Der Waldwasserläufer noch im Schatten, das gegenüberliegende Ufer bereits in der Sonne und dazwischen Nebel über dem Wasser des Reiherschloots:

Das war es fast schon wieder, doch ein letztes Bild gibt es jetzt noch.

Es zeigt abstrakte Kunst am morgendlichen Himmel irgendwo über Ostfriesland:

two aircrafts did that on early morning

Kreiert haben dieses aufwändige, allerdings ökologisch nicht ganz  wertvolle Projekt zwei Linienflugzeuge.

Der leichte Wind hat die Kondensstreifen dann schließlich etwas verwischt und dem Kunstwerk so den letzten Schliff gegeben.

Und nur wenige Minuten später hatte sich das Licht bereits so sehr verändert, dass das feurige Spektakel nur noch in meinem Hirn existierte und natürlich auf der Speicherkarte meiner Kamera.

An diesem Morgen war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort!