wilde perspektiven

wilde perspektiven

Mittwoch, 6. Mai 2015

HAAAAANS!

Achtung, lesen:

"Hans! Haaaa – hans!"

"Was?" ertönt etwas genervt Hans' Stimme aus dem Bad.

"Er ist schon wieder da!"

Der Rasierapparat verstummt.

"Wer ist da? Wovon redest du überhaupt?"

"Der Eichelhäher!" ruft Elke empört. "Komm schnell, du musst ihn verscheuchen oder besser gleich erschießen. Der macht sich an den jungen Amseln im Blumenkübel zu schaffen!"

Die Spülung der Toilette arbeitet noch, da steht Hans schon in der Küchentür, im Schlafanzug und mit einem Luftgewehr in der Hand. Doch der bunte Vogel, der sich eine der jungen Amseln geschnappt hat, ist bereits mit seiner Beute über die Hecke geflogen und in Nachbars Garten verschwunden.






Eurasian Jay – a common species with a bad reputation, but without any reason

Glück gehabt, könnte man sagen, wäre man ein Eichelhäher oder ein Eichelhäher-Sympathisant..

Solche Szenen spielen sich im Frühjahr in der ganzen Republik ab. In Dresden ebenso wie in Dornumersiel, in Dortmund wie in Deggendorf und Demmin. Menschen sitzen am Küchentisch und schauen aus dem Fenster. Meist sind es laut schimpfende Amseln, die die Aufmerksamkeit auf ein Naturschauspiel lenken, das für die meisten Zeitgenossen einem hinterhältigen Meuchelmord gleichkommt und mindestens mit dem Tod bestraft werden sollte.

Der hübsche Eichelhäher genießt also einen denkbar schlechten Ruf.

Völlig zu Unrecht, wie ich meine, denn letztendlich macht er genau das, was Mutter Natur von ihm verlangt. Zur Brutzeit im Frühjahr stellt eben auch der Nachwuchs anderer Singvögel einen Teil seines Beutespektrums dar.

Vielen Menschen gefällt das nicht. Sie regen sich auf und bekommen Schnappatmung, während sie die Stulle mit dem Rauchfleisch in ihrer Hand halten. Natur ist nicht immer was für Zartbesaitete. Wer nicht verstehen möchte, dass Tiere Tiere essen, der sollte die Jalousien nicht hochziehen und besser in der Wohnung bleiben. Er sollte Heimatfilme gucken und Hansi Hinterseer lauschen. Und wie sähe es eigentlich aus, wenn Elke ihr Rind oder Schwein selbst erlegen müsste, um sich zum Frühstück Salami oder eben Rauchfleisch aufs Brötchen legen zu können?

Immer wieder hört man Folgendes: "Sie (Eichelhäher und Elster) nehmen in unserem Garten alle Nester aus. Nichts kommt hier hoch, die armen Vögel..."

Das ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen. Und wenn tatsächlich keine Vögel mehr im Garten brüten, dann liegt das eben an der Gartengestaltung. Ich erinnere mich an meine Kindheit. Die im Frühjahr allmorgendlichen Besuche von Elster und Eichelhäher in unserem kleinen Garten haben nicht zum Verschwinden auch nur einer Vogelart geführt! Verliert zum Beispiel eine Amsel ihr Gelege oder den Nachwuchs, dann versucht sie es ein zweites Mal. Geht das wieder schief, kann es sogar zu einem dritten Brutversuch kommen. Diesmal wird das Nest eben einfach besser versteckt. Wer es aber völlig frei auf einer Fensterbank errichtet, der muss einfach auch bestraft werden.

Merksatz: Die Natur will das so!

In all den Jahren hat es zwar Arten wie Singdrossel oder Bluthänfling gegeben, die eines Tages nicht mehr in unserem Garten brüteten, aber das stand in keinem Zusammenhang mit den Beutezügen diverser Rabenvögel, sondern hatte seine Ursache eher in einer von uns Menschen verursachten Lebensraumverschlechterung.

Übrigens fallen dem Eichelhäher keineswegs nur Amseln zum Opfer. Dieser Eindruck entsteht vor allem deshalb, weil Amseln sich besonders lautstark zur Wehr setzen, während sich andere Kleinvogelarten  wie Buch- oder Grünfink eher unauffällig verhalten, wenn es ihrem Nachwuchs an den Kragen geht. Das Schimpfen der Amseln aber fällt selbst jenen Menschen auf, die morgens die BILD betrachten und die mit Natur absolut nichts am Hut haben.

Oft frage ich mich, wann das endlich aufhört, dieses bescheuerte Einteilen in gut und böse. Ich meine, mit dem Regenwurm, den die Amsel aus dem Rasen zieht, hat doch auch niemand Mitleid. Liegt das daran, dass er keine Federn und vor allem keine Augen hat, die uns ansehen könnten? Und wären Amseln so groß wie Eichelhäher, würden sie sich ebenfalls über andere Vögel hermachen. Wären sie so groß wie Blauwale, hätten selbst wir nichts mehr zu lachen. Okay, dann gäbe es natürlich längst keine Amseln mehr...

Ich sage immer: Mehr als eine Amsel pro Hausdach muss es nicht sein. Kann es auch nicht geben, weil diese Vögel ja eine bestimmte Reviergröße benötigen, um genug Nahrung zu finden. Für sich selbst und eben auch für die Erben.

Und was mich ganz besonders nervt, ist, wenn Katzenbesitzer sich über Eichelhäher und Elster aufregen. Beide Vogelarten sind seit jeher ein natürlicher Bestandteil unserer Fauna und machen das, was sie machen, um zu überleben. Die Katze aber hat es in ganz Europa nie in dieser Dichte gegeben.

Wildkatzen kamen in Ostfriesland wahrscheinlich sogar überhaupt noch nie oder nur auf der Geest vor. Sie bevorzugen waldreichere Gebiete und benötigen große Reviere von mindestens zwei, in der Regel aber über fünf Quadratkilometern (Quelle: Handbuch der Säugetiere Europas), während allein in meiner nur wenige hundert Meter langen Straße mindestens fünfzehn Hauskatzen leben. Und diese Tiere sind eigentlich nie hungrig, gehen also ausschließlich hobbymäßig auf die Pirsch wie jene Zeitgenossen, die man im Volksmund Waidmann nennt. Während Hauskatzen aber nichts für ihren Jagdtrieb können, rätselt man bis heute, wieso ausgewachsene Menschen einfach so zum Spaß oder aus Langeweile Tiere töten. Die Forschung ist in diesem letzten Punkt noch nicht ganz abgeschlossen...

Der Versuch einer Begründung ist aber dieser sehenswerte Beitrag des BR zum Eichelhäher: klick!

Er zeigt, dass es durchaus Jäger mit Verstand gibt, wenngleich ich Wulf-Eberhard Müller in einem Punkt widersprechen möchte: Ich bin nämlich der Meinung, dass man nicht extra auf den Nutzen einer Tierart hinweisen muss, um sie für schützenswert zu halten. Das wäre ohnehin subjektiver Natur. Alle Lebewesen besitzen ein Grundrecht auf Existenz, und zwar unabhängig von ihrem Verhaltensschema und davon, ob uns ihre Nase passt.

Na ja, und wie ist der Pressesprecher der Bayrischen Jäger eigentlich zu seinem Job gekommen? Sinngemäßes Zitat: "Das hat mir meine Großmutter gelernt..."

Das erinnert mich an dieses tolle NDR-Video: klick!

Also bitte! Er allein ist es wert, die knapp sechs Minuten für diesen BR-Beitrag zu spendieren.
 

Das obige Bild entstand übrigens im Ihlower Forst, wo ich auch diese süße Singdrossel fotografieren konnte:








Song Thrush

Diese Art ist hier in Ostfriesland nach wie vor eine erfreulich geläufige Erscheinung. Ein echter Gartenvogel, den man wirklich überall antreffen kann. In Bramsche und Wallenhorst, wo ich vorher gelebt habe, war das irgendwann nicht mehr der Fall.

Bärlauch im Ihlower Forst:

Broad-leaved Garlic note the tick on the leaf, that I first saw at home, when editing the pictures

Er kommt vor allem in Buchenwäldern Süddeutschlands vor und ist schon im Osnabrücker Land eine echte Rarität, nach der man suchen muss. Findet man ihn mit viel Glück, dann sind es fast immer riesige Bestände, die wie ein ausgerollter Teppich den Waldboden bedecken.

Im Ihlower Forst aber fand ich nur diese eine Pflanze, die darüber hinaus auch noch direkt am Parkplatz stand. Weil ich in unmittelbarer Nähe zu diesem Exemplar auch noch eine andere, mir unbekannte Lauchart entdeckte, gehe ich in beiden Fällen von Gartenflüchtlingen oder aber botanischen Findelkindern aus.




Die Spitze des Blattes habe ich übrigens aufgegessen!

Die Zecke, die man auf dem oberen Bild erkennen kann, entdeckte ich erst beim Bearbeiten der Bilder am Rechner.

Solomon's Seal 

Diese eigentümliche Blume heißt Vielblütige Weißwurz.

Im Gegensatz zur verwandten Wohlriechenden Weißwurz (oder ist Weißwurz männlich?) ist sie eine recht häufige Art, die man ebenfalls vor allem in Laubwäldern finden kann.

Und noch ein paar Bilder vom schmucken Gartenrotschwanz:

Common Redstart

Siehe dazu den vorherigen Beitrag: klick!

Bislang unveröffentlichte Bilder vom Waldwasserläufer gibt es auch noch:

Green Sandpiper

Zurzeit kann man diese Limikole nicht oder nur sehr selten in Ostfriesland beobachten, weil sich die Vögel in ihren nordischen Brutgebieten befinden. Doch schon Anfang Juni werden die ersten Waldwasserläufer zu uns zurückkehren:


Siehe dazu den vorletzten Beitrag: klick!

Buchfinken sind im Ihlower Forst trotz der vielen Eichelhäher ein Massenartikel.

Hier eine Buchfinkin:


Chaffinch

Eine Rauchschwalbe, die sich für einen Raubwürger hielt, konnte ich am Krummen Tief fotografieren:

this Barn Swallow pretended to be a Great Grey Shrike

Waldschachtelhalm:


Wood Horsetail 

Unweit des Ihlower Forstes gibt es ein mächtiges Astloch in einer mächtigen Schwarzpappel:

Egyptean Goose

Wer darin brüten darf, ist noch nicht abschließend geklärt. Auf dem Bild oben schwang sich eine Nilgans überraschend leichtflüglig in die Höhe, doch oben erwartete sie eine Überraschung:



In der Höhle befand sich nämlich bereits ein weiblicher Turmfalke, der seinen Platz nicht einfach so räumen wollte. Ich als Nilgans würde mich nicht davon abschrecken lassen, bin ich doch viel größer und gefährlicher als dieser Zwerg im Astloch, doch tatsächlich traute sich die Nilgans nicht hinein.

Einen Tag zuvor war es genau umgekehrt gewesen. Die Nilgans hatte die nur wenige Minuten währende Abwesenheit des Turmfalken kompromisslos ausgenutzt und war in Windeseile in der Baumhöhle veschwunden. Da war der Turmfalke der Idiot. Immer wieder flog er die Höhle an, um jedesmal wieder abzudrehen. Doch er wartete geduldig in der Nähe und sollte, wie man auf den Bildern sehen kann, seine Chance bekommen.

Mal sehen, wie es weitergehen wird...


So, das waren vorerst die letzten Bilder aus dem Ihlower Forst und dessen Umgebung.

Spätestens im Herbst werde ich dort aber wieder aufkreuzen, um eventuell dem Mittelspecht und anderen Vogelarten nachzustellen.

Aber natürlich nur mit der Kamera.


Abschließend noch einmal zurück zu Elke, die inzwischern angesichts der morgendlichen Vorfälle ins Grübeln gekommen ist. Doch nicht etwa das Schicksal des Eichelhähers treibt ihr Sorgenfalten auf die Stirn: Wie konnte Hans eigentlich schon in der Küche stehen, während im Hintergrund noch die Klospülung lief?

Wäscht der sich nicht die Hände?