wilde perspektiven

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Freitag, 11. August 2017

Eine Meisterin der Mimikry

Heute Abend, also in ungefähr zwei Stunden, werde ich Pizza machen.

Und das bedeutet nicht etwa, dass ich so ein armseliges Tiefkühlteil in den Ofen schiebe!

Nein, wenn Pizza, dann richtig und vor allem selbst gemacht. 

Geiles nährstoffloses und schneeweißes Weizenmehl (Typ 405), Wasser, Salz, Trockenhefe und ein kleiner Schuss Olivenöl, das sind die Zutaten für den Teig. Es wird immer wieder behauptet, das Herstellen von Hefeteig sei eine schwierige Sache, gar eine komplizierte Herausforderung. Mit meiner etwa dreißigjährigen Erfahrung als Hobbypizzabäcker kann ich aber sagen, dass das nur ein Märchen ist.

Es hat noch keinen Tag gegeben, an dem mir Hefeteig nicht gelungen ist. Auch früher schon, als ich noch Frischhefe einsetzte, lief immer alles glatt. Und der Teig muss auch nicht stundenlang gehen. Vom ersten Anrühren bis zum Belegen der Pizza vergehen nie mehr als 45 Minuten. 

Und der Clou: Mit so einem elastischen und geschmeidigen Hefeteigklumpen kann man so schön über die Anrichte fahren. Jedenfalls erstrahlt sie nach einer dieser seltenen Back-Sessions immer in frischestem Glanz.

Doch das soll hier natürlich kein Haushaltsblog werden. Davon gibt es im Netz wahrscheinlich eh mehr als genug.


Es ist die Aufgabe dieses Blogs, jenen Kreaturen ein Forum zu bieten, die sonst nie die Möglichkeit bekommen, sich in ansprechendem Licht zu präsentieren.

Sie ist ein Beispiel von ganz vielen:

Who's that girl?

Vor zwei Jahren kannte ich sie noch nicht einmal.

Im letzten Jahr sah ich dann zum allerersten Mal in meinem Leben ein Bild von ihr im Netz, aufgenommen im Süden der Republik. Natürlich fragte ich mich, ob dieses Tier auch hier im äußersten Nordwesten vorkommen könnte. 

Ich war mir nicht sicher und wollte es genauer wissen.

In diesem Jahr, also so vor etwa fünf Wochen ging das los, tauchten wieder und immer mehr Bilder von diesem Tier im Netz auf. Und jemand wies sogar extra darauf hin, dass dieses Tier in diesem Jahr besonders häufig sei. Also nur so im Vergleich zu früheren Jahren. Denn häufig ist dieses Tier hier im Norden wohl nie.

Das sollte ich jedenfalls noch herausfinden.


another pregnant female Slow Worm

Das Bild zeigt den Bauch einer weiteren schwangeren Blindschleiche aus dem Collrunger Moor.  

Es war bereits das dritte Individuum, das ich dort in diesem Jahr finden konnte. Nur ein paar Tage später sollte sogar noch eine vierte Blindschleiche folgen, die ich aber nicht mehr fotografiert habe.

Und? 

Was soll das? 

Sicher leben im Collrunger Moor mehr als hundert Blindschleichen, werdet ihr jetzt denken.

Das stimmt wohl, doch erscheint es mir schon ein wenig seltsam, dass ich in den vergangenen Wochen bei jedem Besuch eine Blindschleiche auf dem Hauptweg entdecken konnte, noch dazu ein jeweils immer neues Individuum, während mir diese Art in den vorausgegangenen acht Jahren nicht ein einziges Mal vor die Augen gekrochen ist.

Die ersten drei von insgesamt vier Tieren im Vergleich: 


three different pregnant female Slow Worms, found at Collrunger Moor. Eight years I had not even seen a single specimen at this location. And in 2017 there were already four different individuals. Three of them are shown in this picture. You can separate them from each other by their different facial pattern!

Acht Jahre lang muss ich also selbst wohl so etwas wie eine Blindschleiche gewesen sein!

Hmmh...

Nicht erstaunlich ist, dass es sich in diesem Sommer ausschließlich um Weibchen gehandelt hat. Denn schwangere Blindschleichen müssen ganz viel Sonne tanken, wenn sich die Babys in ihrem langen Bauch gut entwickeln sollen. Männchen benötigen diese zusätzlichen Solariumstunden nicht. Sie können auch im Hochsommer eine versteckte Lebensweise führen. 

Falls es überhaupt männliche Blindschleichen im Collrunger Moor gibt.

Denn vielleicht war es ja der Heilige Geist, der all die hübschen Blindschleichinnen geschwängert hat. Ich meine, wenn das sogar bei uns Menschen möglich ist oder vor etwa 2000 Jahren möglich war, dann doch ganz bestimmt auch bei Reptilien.

Helmut Ludwig (Aurich) schickte mir das Foto einer ebenfalls weiblichen Blindschleiche, aufgenommen im Garten seines Bruders im Stadtteil Sandhorst:

female and maybe pregnant Slow Worm, recently found in a garden in Aurich  (photograph taken by Helmut Ludwig), where this secretive species has regularly occured already for years

In diesem Garten leben Blindschleichen schon seit vielen Jahren. 

Entdeckt werden sie dort vor allem beim Umdrehen von ausgelegten Dachpfannen.  

Und ich selbst fand noch eine Blindschleiche im Neuenburger Holz:


d.o.r.  Slow Worm at Neuenburger Holz

Ihr seht, das Tier war leider von einem Auto geplättet worden.

Mitten auf einem Waldweg. 

Und wieder war es ein schwangeres Weibchen. 


Das Neuenburger Holz erstreckt sich im Kreis Friesland zwischen den Ortschaften Zetel und Neuenburg im Westen sowie Bockhorn im Osten. Ein Teil dieses Gebietes ist der bekannte und etwa 48 Hektar große Neuenburger Urwald. Doch auch ohne diesen Urwald ist das Neuenburger Holz ein interessantes Waldgebiet, in dem man so allerhand entdecken kann.

Zum Beispiel den Kaisermantel:

female Silver-washed Fritillary of form valesina

Vieles von dem, was ich im letzten Beitrag geschrieben habe, muss ich nun etwas relativieren.

Der Kaisermantel ist im Neuenburger Holz nicht selten. Zum Zeitpunkt meines Besuchs war er nach dem Landkärtchen und dem Waldbrettspiel sogar der dritthäufigste Tagfalter im Gebiet! Häufiger also als C-Falter, Admiral und Tagpfauenauge. Mehrere Individuen an den Blüten nur einer Distel konnte ich gleich mehrfach beobachten. 

Man kann also davon ausgehen, dass diese Population schon länger existiert. Länger zumindest als jene im Egelser Wald, die vielleicht auf umherstreifende Tiere aus dem Kreis Friesland zurückgeht. Doch das ist reine Spekulation. Im Hasbruch, das ist ein naturnahes Waldgebiet zwischen Oldenburg und Bremen, hat sich der Kaisermantel jedenfalls schon vor längerer Zeit etablieren können. Dort seien die ersten Tiere vor etwa zehn Jaheren aufgetaucht, schrieb mir Carsten Heinecke (Oldenburg), nachdem ich gezielt bei ihm nachgefragt hatte.

Der Kaisermantel ist also hier im Norden schon seit einigen Jahren stark im Kommen!





same

Die beiden Bilder zeigen übrigens ein Weibchen der Form Argynnis paphia forma valesina.

Falter dieser Variation unterscheiden sich von den "normalen" Weibchen durch eine eher graubraune statt orangefarbene Grundfärbung. Vor allem auf den Hinterflügeln gibt es sogar blaugrüne Partien, die man auf meinen Fotos aber nicht erkennen kann, weil ich dieses Weibchen leider nur von unten fotografieren konnte.

Ich war übrigens zum ersten Mal in meinem Leben im Neuenburger Holz!

Der Grund dafür war das Tier, das ich bereits eingangs gezeigt hatte. Ich wollte es unbedingt sehen und versuchte es zunächst im Egelser Wald. Doch scheiterte ich, weil es dort an geeigneten Blütenpflanzen mangelt. Entlang der Wege wachsen eigentlich nur Bestände des Drüsigen Springkrauts (vgl. letzten Bericht), und dessen Blüten sind zwar bei Hummeln beliebt, nicht aber bei diesem Tier.

Der Ihlower Forst schied auch sofort aus. Also versuchte ich es im angrenzenden Friesland. Ich war erleichtert, dass ich an den Wegrändern innerhalb des Neuenburger Holzes kein einziges Individuum des Drüsigen Springkrautes entdecken konnte. Stattdessen wuchsen dort, oft miteinander vergesellschaftet, Echtes Springkraut und Kleines Springkraut.

Beide habe ich auch geknipst:


Touch-me-not Balsam 

Small Balsam

Weil ich die Aufnahmen aus derselben Distanz geschossen habe, könnt ihr jetzt die Größe der Blüten dieser beiden Arten sehr gut miteinander vergleichen.

Wie das Drüsige Springkraut und im Gegensatz zum Echten Springkraut, das man ganz zwanglos als Ureuropäer bezeichnen kann, ist auch das Kleine Springkraut in Mitteleuropa ein Neophyt, der ursprünglich aus Asien stammt. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang ihm aber die Flucht aus diversen botanischen Gärten (z. B. Dresden), sodass es heute auch in unseren Breiten eine häufige Pflanze ist. Das Kleine Springkraut liebt vor allem die besonders schattigen und düsteren Bereiche eines Waldes, wo es nahezu keine Konkurrenz gibt. Dort wächst es dann in großen Beständen entlang der Wege und wird wegen seiner eher unscheinbaren Blüten von Wanderern kaum wahrgenommen. 

Später dann fand ich zu meiner Erleichterung auch größere Bestände von Doldengewächsen, in diesem Fall der Waldengelwurz:







Wild Angelica (what a name!)

Das war die Grundvoraussetzung dafür, das gesuchte Tier auch zu finden. Die Blütenstände von Doldengewächsen ganz allgemein sind nämlich sehr beliebt bei einer Vielzahl von Insekten.

Es gibt dort Pollen und Nektar im Überfluss. Wenn man also auf einer Waldlichtung steht, umgeben von einigen hundert Exemplaren der Waldengelwurz, dann hat man ein permanentes Summen im Ohr, das ausnahmsweise mal nicht vom Tinnitus herrührt.

Ein Meer aus weißen Dolden:


different

Weil die Bilder am frühen Morgen entstanden sind, waren sie aber noch jungfräulich.

Weit und breit noch kein Blütenbesucher zu sehen.

Doch das änderte sich, als die wärmende Sonne die Lichtung erreichte. Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Insekten-Supermarkt. Es wimmelte plötzlich von Bienen, Hummeln, Käfern und Fliegen. Es war jetzt ein buntes Treiben, wie ich es mir zuvor erhofft hatte. Und manchmal wusste ich nicht, wohin ich zuerst schauen sollte. Die Auswahl war einfach zu groß.

So fand ich zum Beispiel diese männliche Wanzenfliege:

beautiful male Phasia hemiptera 

Hübsch ist sie, dachte ich so.

Auch erstaunlich bunt!

Und interessant ist ihre Lebensweise. Die adulten Fliegen sind harmlose Blütenbesucher, die man vor allem im Wald und in Waldnähe finden kann. Die Weibchen legen ihre Eier an verschiedenen großen Baumwanzen ab. Und die Larven wiederum ernähren sich von diesen Wanzen, deren Tod sie also herbeiführen.

Ey Leute, die Larven dieser Fliege essen die Wanzen wirklich bei lebendigem Leib auf!

Ja, gerade unter den Fliegen gibt es einige echte Schlawiner, die sich im Laufe der Evolution die abgedrehtesten Strategien haben einfallen lassen, um den Fortbestand ihrer Art zu sichern.

Die folgende Fliege gehört auch irgendwie in diese Gruppe:






Pellucid Fly

Es ist die Gemeine Waldschwebfliege.

Auch diese Art, hübsch wie die obige, besucht Blüten, um dort Nektar und Pollen zu naschen. Zur Eiablage werden die Nester verschiedener Wespenarten aufgesucht. Die Larven dieser Schwebfliege ernähren sich dort von organischen Substanzen, von toten Arbeiterinnen und Larven zum Beispiel oder von Häutungsresten. Es wird aber auch vermutet, dass sie sich in späteren Entwicklungsstadien zusätzlich über den lebenden Nachwuchs der Wespen hermachen.

Aber auch die Gemeine Waldschwebfliege war nicht der Grund für meinen Besuch des Neuenburger Holzes. Es war eine Verwandte dieser Fliege, die ich endlich mal in bewegten Livebildern sehen wollte. Doch weil dieses Tier wohl nie in hoher Dichte auftritt, war das ganze Unterfangen ein eher schwieriges.

Ich latschte also kreuz und quer durch den Wald, legte bestimmt mindestens 15 Kilometer zurück. Ich kontrollierte jeden Blütenstand, sah tausende Fliegen und sonstige Insekten, doch erst, als ich fast wieder bei meinem Auto angekommen war, sollte mir das nötige Glück beschieden sein.

Was für ein Biest!




Hornet Mimic Hoverfly

Die Hornissenschwebfliege ist natürlich eine Fliege und keine Hornisse.

Trotzdem ist die Ähnlichkeit verblüffend. Farbverteilung, Musterung und auch die Größe stimmen mit dem Original weitestgehend überein. Wenn man die Fliege aus größerer Distanz sieht und vielleicht nur für einen kurzen Augenblick, dann kann man sie tatsächlich für eine Hornisse halten.

Hier das Original, die Hornisse, aufgenommen in der Südheide am 29. August 2017:

a true Hornet for comparison

Allerdings unterscheiden sich beide Tiere im Verhalten und auch in ihren Bewegungen. 

Die völlig harmlose Hornissenschwebfliege ahmt die Hornisse nach, um auf diese Weise möglichen Feinden zu entgehen. Weil sie also einem wehrhaften und für manch andere Kreatur gefährlichen Tier ähnelt, wird sie wohl oft einfach nur in Ruhe gelassen. Ob aber z. B. alle Vögel auf diesen Trick hereinfallen, ist mir nicht bekannt.

Das Nachahmen giftiger oder wehrhafter Tiere ist jedenfalls eine von mehreren Formen der so genannten Mimikry.

Zwar hat es auch schon im 19. Jahrhundert einzelne Nachweise der Hornissenschwebfliege in Niedersachsen gegeben, doch zu einem regulären Faunenelement ist sie hier erst in jüngerer Zeit geworden. Diese imposante Art hat sich nämlich in den vergangenen Jahrzehnten von Süd nach Nord ausgebreitet und kommt heute auch im Süden des Vereinigten Königreiches vor. Nie aber scheint die Hornissenschwebfliege im Norden ihres Verbreitungsgebietes in hoher Dichte aufzutreten. Ich selbst musste baffzigtausend Fliegen kontrollieren, um nur eine Hornissenschwebfliege zu finden.

Es war wie mit der bekannten Nadel im Heuhaufen!

Mit einer Körperlänge von maximal 22 Millimetern ist diese attraktive Art ein richtiger Apparat und eine der größten Fliegen in unserem Land. Die Blaue Schmeißfliege, das ist dieser bekannte Brummer, den wirklich jeder kennt, kann da nicht annähernd mithalten. Und eine Stubenfliege schon mal gar nicht.

Nur drei Tage später sollte ich eine zweite Hornissenschwebfliege in einem anderen Teil des Waldes entdecken, diesmal nach überraschend kurzer Suche am frühen Morgen! Die Bilder in diesem Beitrag zeigen genau dieses Tier. Das erste war nämlich grußlos abgereist, noch bevor ich auch nur ein einziges brauchbares Bild hatte machen können.

Doch leider hatte auch die zweite Hornissenschwebfliege keine große Lust auf Passbilder. Nur zwei Fotos konnte ich machen, da stieg sie unvermittelt hinauf in die Baumkronen.

same

Vielleicht hatte ihr der Tau auf dem Blatt, auf dem sie nur kurz zuvor gelandet war, nicht gefallen. Ich meine, auch als Schwebfliege möchte man vielleicht nicht knietief in kaltem Wasser stehen. Und Gummistiefel hatte sie nicht dabei.

Wie die Gemeine Waldschwebfliege legt auch die Hornissenschwebfliege ihre Eier in den Nestern diverser Hautflügler ab. Im Gegensatz zur vorherigen Art auch in jenen der Hornisse. Die Angaben darüber, was genau beim Eindringen in ein Wespennest passiert, sind in der Literatur sehr verschieden. Mal legt die Fliege ihre Eier ab und kommt ungeschoren davon, mal wird sie von den Wespen oder Hornissen attackiert und getötet. Doch selbst noch im Todeskampf soll es die Fliege in aller Regel schaffen, ihre Eier abzulegen.

Womit sie ihr Ziel erreicht hätte.

Die ganze Aktion mit der Hornissenschwebfliege war eine coole Sache.

Ich hatte sie gezielt gesucht, obwohl ich nicht wusste, ob sie hier im äußersten Nordwesten überhaupt vorkommt. Umso schöner war es dann, als sie unvermittelt vor mir stand.

Ihn hier hatte ich nicht gesucht:

Greater Bladderwort

Und gefreut habe ich mich natürlich trotzdem über diesen Fund.

In einem wohl erst vor zwei Jahren ausgehobenen Gewässer am Ostrand des Neuenburger Holzes entdeckte ich die Blüten des Gemeinen Wasserschlauches.

Für mich war das die erste Begegnung mit einem Wasserschlauch in Norddeutschland seit etwa 34 Jahren! Diese Art kam früher auch auf dem Flugplatz Achmer (Landkreis Osnabrück) vor, doch dieses Vorkommen ist längst erloschen. Außerhalb der Blütezeit kann man diese Pflanze natürlich auch leicht übersehen, weil sich ihr Leben dann ausschließlich unter der Wasseroberfläche abspielt.

Das wusste auch diese Waldeidechse, die ich auf einer angrenzenden Fläche fand und schnell portraitierte:

female Viviparous Lizard

So, das war's schon wieder.

Wenigstens für heute muss ich den Stecker ziehen.

Die Pizza ist fertig!