wilde perspektiven

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Samstag, 28. Oktober 2017

Von Oslo nach Ostfriesland

Ihr wisst, in der Vogelwelt gibt es echte Hochleistungssportler!

Da werden auch schon mal mehrere tausend Kilometer zurückgelegt, nur um in Europa zu brüten und in Afrika oder Asien zu überwintern.

Die elegante Küstenseeschwalbe z. B. ist einer der Rekordhalter in Bezug auf die alljährlich absolvierten Flugmeilen. Sie brütet u. a. in der Arktis und überwintert südlich bis zum Rand der antarktischen Packeiszone. Ein Weg von hüben nach drüben: etwa 15.000 Kilometer. Macht nach Adam Riese also 30.000 Kilometer im Jahr. 

Allein für den Zug!

Wenn also die Küstenseeschwalbe, die auch auf Inseln im deutschen Wattenmeer brütet, ein ernsthafter Anwärter auf eine Ehrenurkunde ist, dann reicht es im Falle der allbekannten Lachmöwe oft nur für eine Siegerurkunde. 

Doch soll nicht verschwiegen werden, dass es innerhalb nur einer Art zu erheblichen Unterschieden in der Flugleistung kommen kann. Das gilt für die Küstenseeschwalbe ebenso wie für die Lachmöwe. Manche Individuen mögen kaum ziehen, andere bewältigen eben unglaubliche Distanzen.

Weil uns die Vögel absolut nichts über ihren Zug, also die geflogene Route sowie die exakten Winterquartiere, verraten wollen, verpassen wir Menschen ihnen hübsche Ringe.

Und die sind mehr als nur billiger Modeschmuck:

Black-headed Gull with colour ring, photographed at Norddeich on 18th October 2017. This bird has been ringed (banded) already as an adult on 7th April 2013 at Frognerparken sørlige utløp, which is a park belonging to the city of Oslo (Norway). From then this Black-headed Gull has spent all winters at several locations in The Netherlands and returned to the Oslo area summer after summer to breed. When I found this bird at Norddeich it certainly was already on his way back to NL

Solche Farbringe sind natürlich besonders praktisch, weil man sie auch aus größerer Distanz ausgezeichnet ablesen kann.

In diesem Fall ergab der Code (J4JY), dass es sich um einen Vogel aus Norwegen handelte. Beringt worden ist er als Altvogel am 7. April 2013 in der Nähe von Oslo. Seit der Beringung hat diese Lachmöwe immer im Raum Oslo übersommert und in den Niederlanden überwintert. Ich gehe fest davon aus, dass Norddeich nur eine Zwischenstation war auf dem Weg zurück in unser westliches Nachbarland.

same

Leider kann ich nun nichts Genaues über das Alter der Lachmöwe schreiben, eben weil man sie als Altvogel (im mindestens 3. Kalenderjahr) beringt hat. Immerhin weiß ich aber jetzt, dass ich ein Männchen fotografiert habe.

Hier seht ihr dasselbe Individuum in den Händen der norwegischen Beringer im April 2013:

same specimen in April 2013 in the hands of the Norwegian bird ringers (photograph taken by John Martin Mjelde)

Besten Dank an John Martin Mjelde (Oslo), der mir freundlicherweise sein Foto von der Lachmöwe für diesen Beitrag überließ. 

Für mich ist das übrigens die zweite farbberingte Lachmöwe aus Norwegen gewesen. Zuvor hatte ich einen Vogel im ersten Kalenderjahr am Emsstrand auf dem Rysumer Nacken abgelesen, der ebenfalls aus Oslo stammte. 

Das war erst im vergangenen Jahr!

same

Interessant war, dass sich der neue Vogel Menschen gegenüber nach wie vor sehr vertraut verhielt. 

Ich musste nur mit einer Toastbrot-Scheibe winken, da stand er schon vor mir. Immer in der ersten Reihe. Diese fehlende Angst vor uns Zweibeinern ist ganz bestimmt auch der Grund dafür gewesen, warum man die Lachmöwe vor viereinhalb Jahren so leicht beringen konnte.

Am selben Tag fand ich am Strand von Norddeich übrigens auch noch eine weitere beringte Lachmöwe:

different Black-headed Gull with Finnish ring at same location – data submitted, but I haven't obtained any results yet

Dieser Vogel stammte aus Finnland. 

Ganz unten kann man zum Beispiel den Namen der Hauptstadt, also Helsinki, erkennen. Das Ablesen von Metallringen ist leider schon deutlich aufwändiger. Man muss den Ring wirklich von allen Seiten sehen, um den Code komplett erkennen zu können.

Betonen möchte ich noch, dass die Lachmöwe für mich eine der schönsten Möwen überhaupt ist. Besonders im Schlichtkleid gefällt sie mir ausgesprochen gut!


Anderes Thema: Schon seit mindestens zwei Wochen hielt sich Mitte Oktober ein halbstarker Seehund im Watt südwestlich des Strandes von Norddeich auf. Er war tot. Wenn es noch zu Ortswechseln kam, dann nur bedingt durch das immer wieder auf- und ablaufende Wasser. 

Ich glaube, keinem Schwein außer mir war dieser Kadaver aufgefallen – bis zum 14. Oktober:

young Herring Gull eats dead Harbor Seal, what is absolutely natural. This happened close to a hiking trail in the wadden sea. I was taking some photographs, when more and more people gathered behind me. Many of them were getting upset. They were angry about this "ugly Seagull", which they thought had apparently killed the Seal before. I left and returned to the "crime scene" in the afternoon for further shots under better light conditions. But in the meantime one had removed the carcass! In Germany so many people are so scheiße

Eine junge Silbermöwe hatte sich an den reich gedeckten Tisch gestellt und aß fleißig vom Seehund.

Weil sie keine Scheu zeigte, kletterte ich die Uferbefestigung hinab und hockte mich ins Watt. Ich war so sehr auf das Fotografieren fokussiert, dass ich die sich oben auf dem Weg ansammelnden Menschen zunächst nicht bemerkte. Eine ältere Frau aber redete sich rasch in Rage, so laut, dass selbst meine Kamera und ich aus dem Takt gerieten. 

"Wieso frisst die Möwe den Seehund? Das ist doch ein Seehund, oder etwa nicht? Kann mal bitte jemand etwas unternehmen?"

Ich war fassungs- und vor allem auch sprachlos. Früher hätte ich so einem Menschen auf der Stelle die Meinung gegeigt, doch man wird tatsächlich milder im Alter. Stattdessen legte ich die Kamera beiseite und umklammerte mit beiden Händen einen dieser riesigen Basaltblöcke, die den Deichfuß vor heranrollenden Wellen schützen sollen. Ich wollte ihn aus der Uferbefestigung herausreißen und der Frau an den Kopf werfen, weil sie immer lauter und vor allem unsachlicher wurde. 

Selbst die Möwe war inzwischen genervt!

Der Stein bewegte sich keinen Millimeter, weil er natürlich festbetoniert war. Darüber hinaus war mir inzwischen eingefallen, dass ich Kugelstoßen schon im Schulsport abgrundtief gehasst hatte. Ich stand also einfach auf und ging zurück zu meinem Auto. "Der Klügere gibt nach, Frank", hatte mir immer schon meine Mutter eingebläut, als ich noch ein kleiner Junge war. Doch eigentlich ist das die falsche Einstellung, wie ich heute weiß, denn wenn der Klügere immer nachgibt, bekommt der Hirnlose immer Recht!

Ich setzte mich ins Auto und machte erst mal Mittagspause. Oft habe ich gelesen und gehört, wie wichtig doch eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung sei. Deshalb gab es an diesem Tag, wie an allen geraden Tagen des Jahres, leckere Käsebrote. An den ungeraden, die ja fast immer ganz zuverlässig auf die geraden folgen, verspeise ich nämlich ausschließlich Käsebrötchen

Am Nachmittag kehrte ich zum Tatort zurück. 

Bessere Bilder bei besserem Licht wollte ich machen. Doch wie geschockt war ich, als ich sah, dass da kein Seehund mehr auf mich wartete! Diese verfickte Frau war doch tatsächlich petzen gegangen und hatte irgendeine Stelle informiert und nicht eher Ruhe gegeben, bis sich jemand auf den Weg machte und des toten Tieres annahm. Ich stellte mir das bildlich vor, wie sie da rumschrie und mit Konsequenzen drohte, – und musste lachen. 

Dass wir uns jetzt nicht missverstehen, es hatte in der Zwischenzeit kein Hochwasser gegeben. 

Spuren im Watt waren der letzte Beweis dafür, dass die Dummheit mal wieder gesiegt hatte. Auf die lieben Nationalpark-Ranger wartet noch viel Aufklärungsarbeit, wobei ich denke, dass es sich um einen ausweglosen Kampf gegen die berühmten Windmühlen handelt. Ich meine, selbst wenn der Seehund auf dem Strand gelegen hätte, wo Menschen sich erholen wollen und so weiter, dann hätte man das arme Tier an einen entfernten Ort verfrachten können, um es anderen Tieren zu überlassen und so in den Stoffkreislauf der Natur zurückzuführen.  

Doch mit Natur haben die allermeisten Menschen nichts am Hut. Und wenn da ein Kadaver in der Landschaft liegt, dann brechen doch auch auf der Stelle Seuchen aus. Zumindest in Deutschland. In den USA hat man da weniger Bedenken. Man kann leicht schlecht über die Amis reden, in manchen Belangen wohl auch berechtigterweise, doch hier sind sie uns überlegen. Selbst ein Hirsch, der einem vor die Karre springt, wird höchstens an den Straßenrand geschleift, wo schon nach wenigen Tagen nichts mehr von ihm übrig bleibt. 

Merksatz: Tote Tiere werden von lebenden Tieren aufgegessen und sind so ein wichtiger Kalorienlieferant und ein Garant dafür, dass es eine persönliche Zukunft gibt. 

Doch in unserer geilen Republik darf es tote Tiere nur in der Fleischauslage im Supermarkt geben.   

Die wirklich richtig blöde Frau war bestimmt davon ausgegangen, dass der Vogel zuvor den Seehund gekillt hatte. Deshalb war sie so in Rage geraten. Der umgekehrte Fall hätte ihr wahrscheinlich weniger ausgemacht. Und vielleicht wollte sie auch nur Gutes tun. Möglicherweise ging da noch was beim Seehund und er befindet sich jetzt in der Aufpäppelstation in Norddeich. 

Ihm fehlte doch auch nur der Kopf.

Ein Rotmilan glitt sanft über Westermarsch II hinweg:

Red Kite

Auch dieser attraktive Greifvogel hätte sich sehr über einen toten Seehund gefreut. 

Auf dem Manslagter Nacken habe ich in der Vergangenheit schon mehrfach Mäusebussarde auf Seehundkadavern stehen sehen. An Stellen, die Gott sei Dank nicht von vielen Menschen aufgesucht werden.  

Und wieder ein Steinschmätzer:




cute and confiding Northern Wheatear

Dieser Vogel rollte mir bei Norddeich direkt vor die Füße!

Fluchtdistanz: zehn Zentimeter. 

Er war weder krank noch geschwächt, sondern einfach nur unglaublich zutraulich. Mehlwürmer habe ich ihm aber natürlich trotzdem gegeben. Ich meine, er musste doch auch mal stehen bleiben für ein paar aussagekräftige Bilder.

Hier stand er auf einem der aus Beton gefertigten Wellenbrecher: 

same

Und hier auf den bereits weiter oben erwähnten Basaltblöcken:

same

Heute (Samstag, 28. Oktober 2017) war ich trotz des nicht so prallen Wetters im Bereich der Leybucht unterwegs. 

Und zwar auf diesem Weg:

where I found a nice bird

Man hatte dort das ganze vom Hochwasser angespülte Getreibsel (Teek) zusammengekehrt und schon mal für den baldigen Abtransport aufgehäuft.  

Die nun vegetationslosen Bereiche links vom Weg wurden von einer Vielzahl von Vögeln aufgesucht. Viele Stare waren dort am Frühstücken. Darüber hinaus einige Feldlerchen, Wiesenpieper, Strandpieper und gleich sechs Bergpieper!

Es war für mich das allererste Mal, dass ich Berg- und Strandpieper direkt nebeneinander beobachten konnte. Salz- und Süßwasserhabitate (viele Pfützen nach dem vielen Regen) grenzten hier in diesen Tagen unmittelbar aneinander. Nichtsdestotrotz sind solche Beobachtungen nichts anderes als die viel zitierte Ausnahme von der Regel. Und die besagt, dass Strand- und Bergpieper unter normalen Umständen nicht am selben Ort auftreten. Das schrieb schon ein bekannter schwedischer Vogelkenner in einem Artikel über den so genannten Wasserpieper-Komplex in Limicola vor ganz vielen Jahren. 

Jedenfalls ging ich auf diesem Weg, als plötzlich wieder einmal einige der Vögel vor mir aufflogen. "Pschiiep", ertönte es plötzlich mehrfach laut und etwas unrein. Ach, wie schön, dachte ich so, da muss sich doch ein Spornpieper in der Vogelmasse verstecken. 

Tatsächlich entdeckte ich ihn nach kurzer Suche in etwa hundert Metern Entfernung auf dem Deich, von wo aus er mich sichernd im Auge behielt:

what Richard's Pipits (record shot) think: What the fuck country is this? I travelled a thousands miles and it is still cold, rainy, and even stormy. Didn't imagine vacation could be so crappy. I'm really sure something went wrong!

Nur drei oder vier Bilder gelangen mir, dann flog der Vogel abermals auf, um schließlich hinterm Deich zu verschwinden. Ein verfickter Elektrozaun, auf dem auch wirklich immer Strom ist, das wusste ich aus der Vergangenheit, versperrte mir den Weg. Ich konnte also nicht spontan auf die Deichkrone sprinten, um zu gucken, wo genau der Spornpieper landete.

Kurz: Ich verlor ihn aus den Augen. 

Der Spornpieper wird allherbstlich in Deutschland festgestellt, doch fast immer nur in sehr geringer Zahl. Wie der hier bereits mehrfach vorgestellte Gelbbrauen-Laubsänger ist er einer der verlässlichsten seltenen Gäste aus dem ehemaligen Zarenreich. Er brütet vom östlichen Kasachstan ostwärts, also in Sibirien, der Mongolei sowie in weiten Teilen Chinas. 

Weil der Spornpieper hauptsächlich in Südasien überwintert, liegt Deutschland völlig abseits seiner regulären Verbreitung. Doch eine alljährlich stark schwankende Zahl an Vögeln verlässt die Brutgebiete eben Richtung Westen und taucht dann bei uns auf. 

Und darüber wiederum freuen sich viele Vogelbeobachter. 

Abseits der Insel Helgoland war das übrigens für mich der erste Spornpieper mit Bodenkontakt! Üblicherweise sieht man diesen Vogel nur durchziehend am blauen oder grauen Himmel. Etwa so: pschiiiep, pschiiiep, pschiiiep, pschiiiep, PSCHIIIIIIEP!, pschiiiep, pschiiiep, pschiiiep...

Weil ich auf einem Ohr nahezu taub bin, fällt es mir immer schwer, so einen überhinfliegenden Vogel exakt und schnell zu orten. Zunächst werden die Rufe immer lauter, dann aber auch rasch wieder leiser, bis man sie gar nicht mehr hört, weil sich der schnell und oft auch hoch fliegende Vogel schon in den Niederlanden befindet. Von den sieben Spornpiepern, die ich bislang in Ostfriesland feststellen konnte, habe ich nur drei gesehen. Und nur einen auch fotografiert.

Das war dieser hier. 

Endlich!

Zurück zum Strand in Norddeich:

this Herring Gull was patiently waiting for something to eat 

Neben den beiden beringten Lachmöwen fotografierte ich dort auch diese etwas ausgenudelte Silbermöwe. 

Und die hier gab's dort auch noch gratis dazu:

Mew Gull 

Natürlich, es ist eine Sturmmöwe

different

Und jetzt kommt der Knaller!

Seit 2005 gibt es wieder neue Lassie-Folgen in den amerikanischen Kinos. 

Was die Menschen in den USA aber nicht wissen, ist, wo der Hund seinen Urlaub zwischen den anstrengenden Drehs verbringt...

In Norddeich:


Lassie is currently spending his vacation in Germany

Und es kommt noch besser!

Kein Geringerer als Elvis P., getarnt als gewöhnlicher Tourist mit Sonnenbrille und hochgeschlagenem Mantelkragen, warf eine alte Filzkugel immer wieder ins Wasser! Lebt die alte Schmalztolle also doch noch.

Ihr glaubt mir nicht? 

Ist mir egal.

sheep on dike

Diese Schafe auf dem Deich bei Manslagt hätten so furchtbar gerne den bescheuerten Zaun niedergetrampelt.

Denn jenseits davon war das Gras noch saftig und grün. 

Ich hoffe, der Schäfer hat den farblichen und qualitativen Unterschied inzwischen auch bemerkt und die Tiere ins Wiederkäuer-Paradies eintreten lassen. Ich bin wirklich froh darüber, nicht als ostfriesisches Deichschaf auf die Welt gekommen zu sein. Im Sommer gibt es an heißen Tagen keinen Schatten, im Herbst viel Regen und Wind von der Seite. Und man muss den ganzen Tag dieses öde Gras essen und kommt nie in den Genuss einer Pizza Margherita oder eines leckeren Käsebrötchens.

Egal, zum Abschluss gibt's schnell noch etwas Erfreuliches-to-go: Der VfL Osnabrück hat soeben das erste Ligaspiel der Saison gewonnen. Nicht irgendwie, sondern absolut überzeugend. Mit einem unglaublichen und ungefährdeten 4:0 hat man den FSV Zwickau zurück auf die weite Reise nach Westsachsen geschickt.

Abstiegskampf kann auch Spaß machen!