Samstag, 11. November 2017

Ein Thorshühnchen besucht Manslagt

Wer flattert denn da von rechts ins Bild?

Du hast mir gerade noch gefehlt, dachte ich.

Vor genau einer Woche (4. November 2017) stand ich in Manslagt auf dem Rottenwallsweg, der, kreativer ginge es kaum, kurz vorm Deich vom Rottevallsweg abzweigt.

Ich beobachtete gerade einige Alpenstrandläufer, die sich genau die Kleientnahmestelle zu meinen Füßen ausgesucht hatten, um sich mal vom Tagesgeschäft im windigen Watt zu erholen.

Anwesend waren auch noch einige Wiesenpieper sowie Krickenten, Stockenten und Brandgänse.  Und auf dem angrenzenden Acker in meinem Rücken tummelten sich Feldlerchen, Ohrenlerchen und Berghänflinge

Und nun also ein Thorshühnchen von rechts!

War das etwa ein schlechtes Omen?

Im Herbst 2017 scheint es zu einem mittelstarken Einflug dieser hocharktischen Limikole nach Deutschland gekommen zu sein. Am selben Tag wurden z. B. am anderen Ende der ostfriesischen Halbinsel, in Schillig, gleich drei Individuen entdeckt.  

Mir reichte eines. Ich meine, ich wollte es auch nicht gleich übertreiben.

So sieht ein Thorshühnchen im spätabendlichen Gegenlicht aus:

my first Red Phalarope since 2014. All images except for the last two show the same specimen

Selbst unter diesen schrägen Bedingungen, wenn man also den Vogel nur als pechschwarzen Schattenriss erkennen kann, ist die Artdiagnose keine komplizierte Sache. 

Die einzigen weiteren vergleichbaren Arten, das Odinshühnchen und der Wilsonwassertreter, haben feinere und proportional längere Schnäbel.

Na ja, als ich den Vogel entdeckte, hatte ich die Sonne aber auch im Rücken.

Das niedliche Thorshühnchen ist ein nordischer Vogel. 

Es brütet zum Beispiel auf Inseln wie Svalbard ("Spitzbergen"), Grönland und Nowaja Semlja (wohl nur auf der Südinsel) sowie auf dem sibirischen und kanadischen Festland von der Taimyrhalbinsel im Westen bis zur Hudsonbay im Osten.

Oder umgekehrt.

Auf Island brüten nur wenige Paare.

Dort gibt das verwandte Odinshühnchen den Takt vor.







In seinem Brutgebiet begegnet das Thorshühnchen sogar dem König der Arktis, dem Eisbären!

In Ostfriesland muss es sich mit der Königin Norddeutschlands begnügen, mit dem schwarz-weißen Holstein-Rind

Der kleine Vogel in seinem Lebensraum:

Auf diesem ehemaligen Acker wird seit etwa drei Jahren Klei abgebaut für die Deicherhöhung zwischen Hamswehrum  und Upleward.  

Zurzeit ruhen die Arbeiten, doch ich bin mir sicher, einem Thorshühnchen hätten auch die im Minutenrhythmus anrollenden schweren LKW sowie der Bagger absolut nichts ausgemacht.

Wassertreter ganz allgemein zeigen dem Menschen gegenüber keine Scheu. Sie sind sehr vertraut, mitunter aber auch schreckhaft. Das bedeutet, dass man sich nicht ruckartig bewegen sollte, wenn man so einen Vogel unmittelbar vor sich hat. 

Wie ein aufgezogenes Spielzeug schwimmen diese kleinen Vögel durchs Wasser.

Immer mit dem Kopf nickend und permanent die Richtung wechselnd. Als Thorshühnchen kennt man keinen Stillstand. Man pickt in rascher Folge winzige Nahrungspartikel von der Wasseroberfläche oder aus den obersten Wasserschichten auf, die ein Mensch auch mit dem Fernglas nicht einmal erkennen könnte. Nur wenige Male sah ich den Vogel kleine Fluginsekten aufnehmen, die offenbar zuvor ins Wasser gefallen waren.

Und als Thorshühnchen geht man auch nicht gerne an Land. Und zu diesem Lebensprinzip passen auch die Winterquartiere dieser Art. Sie befinden sich auf offener See, weit vor den Küsten Westafrikas, oder, wenn es sich um nearktische Individuen handelt, auf dem Ozean vor dem argentinischen und chilenischen Festland.

"Guck mal, Frank, wie schön ich kleine Wellen machen kann!" 

Das rief mir das possierliche Thorshühnchen zu, als es kleine Wellen machte.

Das Thorshühnchen taucht bei uns vor allem nach schweren Herbststürmen auf.

Und auch nur dann, wenn der Wind aus westlichen Richtungen bläst. Die beste Zeit für diese Art ist der mittlere bis späte Herbst. Die ersten Individuen werden meist ab Mitte Oktober entdeckt. Um die Monatswende Oktober-November kulminieren die Zahlen, falls es sich überhaupt um ein gutes Thorshühnchen-Jahr handelt, doch auch später noch kann der nordische Vogel quasi bis Jahresschluss und sogar darüber hinaus einzeln festgestellt werden.  

Diese zwei Stockenten wollten mir weismachen, es sei bereits das vierte Thorshühnchen in diesem Herbst und an diesem Ort gewesen: 




Mallard

Aber aus der Erfahrung weiß ich, dass man einer Stockente grundsätzlich nicht trauen kann.

Ich ging den matschigen Weg weiter und scheuchte zu meinem Erstaunen auch noch meine erste Spornammer dieses Jahres auf! 

Der Vogel hatte sich einfach geduckt und mich bis auf etwa vier Meter an sich herankommen lassen. Als er dann aufflog, ließ er auch noch so etwas wie einen verachtenden Ausruf erklingen. Du elendes Miststück, dachte ich, das kriegste zurück. 

Aber wohl nicht mehr heute, fügte ich in Gedenken etwas kleinlaut hinzu, war die Spornammer doch gleich eine lange Strecke geflogen und schließlich hinterm Deich abgetaucht. Für eine Nachsuche fehlten mir Lust und Kraft.

Schlechtes Licht:

Zwischenzeitlich hatte sich mir nämlich ein ganz anderes Bild geboten!

Verfickter Nebel war aufgezogen, um die Landschaft in ein tristes Grau zu tauchen. 

Sichtweite: nur etwa 50 Meter.

Jeder hat schon einmal von Gorillas im Nebel gehört.  

Doch heute seht ihr zum ersten Mal in eurem Leben ein Thorshühnchen im Nebel!

Ihr seid beeindruckt?

Das freut mich sehr. 

Und deshalb gibt es jetzt auch noch eine Steigerung. Nämlich Bilder von einem laufenden Thorshühnchen unter einem grauen Himmel:

Das Licht war wirklich sehr schlecht.

Und obwohl ich schon eine ganze Blende länger belichtet habe, erscheinen mir wenigstens die letzten drei Fotos etwas zu dunkel. Das Problem ist, dass man im Feld auf dem Display der Kamera nicht erkennen kann, ob ein Bild korrekt belichtet ist oder nicht. 

Am späten Abend sollte der Himmel dann wider Erwarten aufreißen und der Sonne an diesem Tag eine letzte Gelegenheit einräumen, dem Thorshühnchen und mir ihr ganzes Können zu präsentieren. 

Erst so:








Später so:

Die Reise des kleinen Vogels musste natürlich irgendwann weitergehen.

Immerhin hatte das Thorshühnchen mindestens satte vier Tage in Manslagt herumgetrödelt. Inzwischen hat es vielleicht schon die Küste vor Marokko erreicht oder die vor Sierra Leone. 

Man weiß es nicht. 

Klar ist nur, dass es für den Vogel im kommenden Frühjahr wieder in die Arktis gehen wird. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, ihm ein weiteres Mal in Ostfriesland zu begegnen, praktisch nicht existent. Denn auf dem Heimzug taucht das Thorshühnchen noch viel seltener in Mitteleuropa auf als auf dem Wegzug. Das ist schade, denn ich würde diese Limikole gerne auch mal im hübschen Prachtkleid fotografieren. 

Wenn ihr wissen wollt, wie das Thorshühnchen zur Brutzeit aussieht, müsst ihr die Google-Bildersuche bemühen. 

Sei artig und sag tschüß!

"Tschüß!"

Zum Abschluss zeige ich euch noch schnell die beiden anderen Thorshühnchen, die ich bislang in Ostfriesland beobachten konnte.  

Beide Vögel hielten sich damals jenseits des Deiches und jenseits der Salzwiesen, also direkt auf dem trüben Wasser der Emsmündung auf. Und beiden Vögeln begegnete ich im Oktober 2014 in einem zeitlichen Abstand von nur sechs Tagen und in einem räumlichen von etwa zwei Kilometern.

Vogel eins:






my very first Red Phalarope in Ostfriesland (October 2014)

Und Vogel zwei:

my second, only six days later

Lang ist's her!

Ob ich jemals wieder ein Thorshühnchen sehen werde?

Ich habe keine Ahnung.